Respekt und Tabus

Würde

Die Würde des Menschen ist unantastbar. So beginnt Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Das steht auch über meiner persönlichen fotografischen Arbeit. Mein Respekt und meine Wertschätzung gehört den Menschen, Lebewesen und auch Dingen die ich fotografiere. Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung sind mir besonders wichtige Menschenrechte.

Damit das funktioniert muss klar sein, dass die Freiheit dort endet, wo sie die Rechte anderer verletzt werden. Es gilt also abzuwägen. Zum Beispiel die Kunstfreiheit eines Bildes gegen die Rechte am eigenen Bild. Und das in beiden Richtungen. Also auch die Rechte am eigenen Bild des Fotografierten gegenüber der Kunstfreiheit des fotografierenden Künstlers. Kein Recht ist in Deutschland – außer die unantastbare Würde des Menschen im Artikel 1 GG – absolut. Auch das Recht auf Datenschutz ist kein absolutes Recht. Das heißt auch die DSGVO muss gegen andere Grundrechte abgewogen werden, zum Beispiel sich künstlerisch als Straßenfotograf:in sich auszudrücken. Es ist immer eine Abwägung oder Entscheidung im Einzelfall. Grundsätzlich gilt jedoch:

Streetfotografie ist in Deutschland eine anerkannte Kunstform und legal!

Das ist meine persönliche Meinung und ich bin kein Jurist. Um jetzt hier nicht im Zitieren zu versinken, möchte ich auf zwei Bücher hinweisen, die das Thema vertiefen:

Jochen Müller: Streetfotografie, Die Kunst einzigartige Augenblicke einzufangen, Bildner Verlag
Kapitel 2: Gesetzeslage und Ethik, Seite 44 bis 46; Praktische Empfehlungen, Seite 47 bis 48

Pia Parolin und Martin U Waltz: Next Level Streetfotografie
Kapitel 1.7 Recht, Seite 29 bis 30

Andere Meinungen zum Thema gibt’s reichlich zum Beispiel hier und hier.

Tabus

Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit Menschen in diskriminierenden, misslichen oder peinlichen Situationen nicht zu fotografieren das gebietet die Ethik und das ist für mich ein Tabu ohne wenn und aber!

Kinder- und Minderjährige fotografiere ich in der Regel nicht oder zumindest nicht erkennbar. Ausnahmen sind Einwilligungen der Eltern. Weitere Ausnahmen sind Veranstaltungen bei denen ich vom Veranstalter für Pressefotos oder eine Dokumentation eingeladen oder akkreditiert werde – und der Veranstalter vorher mit den Eltern etc. geklärt hat, das Fotografiert wird und wo veröffentlicht wird.

Löschen von Bildern

Bisher ist es in zwei, drei Einzelfällen schon mal vorgekommen, das mich fotografierte Personen gebeten haben ein einzelnes Bild zu löschen oder eine erteile Genehmigung zur Veröffentlichung zurückziehen. Dann lösche ich das Bild sofort ohne Wenn und Aber und ohne jeden Versuch einer Umstimmung. Das ist für mich selbstverständlich und gebietet der Respekt.

Öffentlicher Raum, Panoramafreiheit

Auf für jedermann frei zugängliche öffentliche Plätzen gilt die Panoramafreiheit (§ 59 UrhG) d.h. alle Gebäude, Brunnen, Denkmäler, Skulpturen und Reliefwandbilder und Ähnliches sowie Passagen, Atrien und öffentlich zugängliche Hausdurchgänge dürfen frei fotografiert werden, sofern die Dinge im Gemeingebrauch stehen, also nicht der privaten Nutzung vorbehalten sind und dort bleibend installiert sind.

Weiterführende Meinungen zum Thema gibt’s zum Beispiel hier oder speziell zur Panoramafreiheit hier im Juraforum.

Bei Museen, Ausstellungen, Hotelhallen, etc., die ich auch innen besuchen möchte hole ich vorher eine meist formlose Fotografier- und Veröffentlichungserlaubnisse beim Veranstalter oder Betreiber ein. Dabei geht’s bei mir immer um eine nicht kommerzielle Nutzung.

Für DB-Bahnhöfe, Haltestellen, U-Bahnstationen etc. gelten für Hobbyfotografen und nicht kommerzielle Nutzung der Fotografien meist schriftliche Regeln und Sicherheitsvorschriften, die oft beim Betreiber abgerufen werden können.

Dogmen, Bevormundung

Den Satz „Obdachlose werden nicht fotografiert!“ empfinde ich als dogmatische Bevormundung. Da stellen sich mir die Nackenhaare auf und ich werde innerlich unruhig, wenn ich das höre oder lese. Ich glaube zwar zu verstehen, was mit dieser steilen Ansage gemeint ist: „man/frau fotografiert keine hilflosen Personen würdelos!“ Offensichtlich meinen diese „Wortführer:innen“, – von den Nachplapperen einmal abgesehen -, sie besitzen die Deutungshoheit über ein ganzes Genre und der Rest der Fotografierenden ist nicht fähig selbst ethisch verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Oder wie Annette Lang zum Thema Moral und Ethik es aus meiner Sicht sehr treffend sinngemäß formuliert: „Für die meisten ethischen Fragestellungen gibt es kein binäres ja oder nein. Jeder muss da seinen eigenen Kompass finden! Das wichtigste ist, sich die Frage bewusst zu stellen.“

Mehr im Artikel Moral und Ethik von Annette Lang alias @luxtasia in der Zeitschrift Soul of Street #43

  • In dem Artikel kommt auch die Geschichte vom Wohnungslosen Driss vor: Annette und Driss sehen sich mehr oder weniger aus der Ferne immer mal wieder über einen längeren Zeitraum gegegenseitg auf der Promenade in Nizza, während Annette dort fotografiert und Driss dort quasi auf ’seiner‘ Bank lebt. Eines Tages kommen Driss und Anette ins Gespräch: Driss stellt ihr die Frage warum sie alles mögliche fotografiert nur ihn (Driss) nicht. – Die Geschichte ist absolut lesens- und die abgedruckten Bilder sind sehenswert – eine spannende Geschichte!
  • Die Fotografin Debora Ruppert porträtiert seit Jahren Obdachlose in Berlin und hört sich ihre Geschichten an.

Vorstehende verlinkte „Geschichten“ haben mich persönlich in der Haltung bestärkt mit allem Respekt und Wertschätzung auch Menschen, die nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens stehen nach einer Fotografier- und Veröffentlichkeitserlaubnis zu fragen. Behutsames Vorgehen ist dabei aus meiner Sicht besonders wichtig. Vertrauen baut sich da meist viel zögerlicher auf. Und ohne etwas Vertrauen leuchten keine Augen.

Mein Kompass

Obdachlose fotografiert man nicht!“ auch ich habe mich am Anfang meiner Streetfotografie von diesem Dogma einschüchtern lassen. Aber Obdachlose, Punks und andere sind Menschen wie Du und ich und gehören in den Mikrokosmos der Straße. Manchmal ist es natürlich nicht leicht, wenn es jemanden nicht gut geht, ein würdevolles Foto zu machen. Dann macht man eben auch keins. Die Lösung ist grundsätzlich ganz leicht, wenn mich der Alltagsaugenblick, der Moment erreicht oder motiviert, frage ich einfach. Ob schnorrende Punks oder um Kleingeld bittende Wohnungslose wollen meist mit Respekt wahrgenommen werden, checken Dich ab, fragen nach. fassen vielleicht etwas Vertrauen und sagen meist ja zum Fotografiert werden. Gerade bei Punks habe ich noch nie ein Nein bekommen.

Hier ein paar Bilder. Schaut mal selber. Für mich sind sie alles andere als würdelos. Manche Augen leuchten, manche freuen sich und genießen die Aufmerksamkeit und Wertschätzung, oder den Augenblick. Was meint ihr? Lasst gerne einen Kommentar da.

Weitere Bilder meiner Arbeit findet Ihr unter Portfolio oder unter meinen Projekten. Beiträge zur Ausrüstung (Gear) findet ihr hier. Und zum Themenbereich Respekt, Tabus, Moral, Ethik geht’s hier lang.

Ich bin Amateur- und Streetfotograf ohne jegliche kommerzielle Interessen. Die hier einzeln oder groß abgebildeten und erkennbaren Personen habe ich in der Regel angesprochen und eine Fotografier- und Veröffentlichungs-Erlaubnis bekommen. Herzlichen Dank dafür!

Wenn Sie zufällig abgebildet sein sollten, stellen wir Ihnen das Foto / die Fotos, auf denen Sie selbst zu sehen sind, für Ihre privaten Zwecke gern kostenlos zur Verfügung und – auf Ihren Wunsch hin – löschen wir solche Bilder natürlich sofort. Benutzen Sie dazu die nachstehende Kommentarmöglichkeit oder kontaktieren sie mich. Vielen Dank!

Mein Fazit zur Rechtslage und die Doppelmoral in unserer Gesellschaft

Das Grundgesetz schützt die Meinungs- und Pressefreiheit wie auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen. Ich liebe journalistisches Arbeiten, dass den Spagat dazwischen schafft. Eine sehr gute Orientierungshilfe liefert dieses Papier von verdi zum Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsrechten und Pressefreiheit.

Scheinheiligkeit, Korruption, Diskriminierung, Ausgrenzung, Hass und die Gelüste nach Vorherrschaft sind mir ein Gräuel. Mir ist wichtig, nicht zu verzagen angesichts der unvorstellbar vielen und massiven Menschenrechtsverletzungen weltweit, mich nicht von der Angst, sondern von positiven Vision (gleichberechtigtes und respektvolles Miteinander, Toleranz, Weltoffenheit und Chancengleichheit) leiten zu lassen.

Kunst und Kultur sind ein probates wie verbindendes Mittel, um Menschen zusammenzuführen und zur Diskussion anzuregen.

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